Erster Weltkrieg - Heimatfront Görlitz
Auf zum Militär
Die alljährliche Meldung zur Militärdienstpflicht der Jahrgänge, die im Verlauf des nächsten Jahres das 20. Lebensjahr erreichten, wurde mit öffentlichen Bekanntmachungen in den Görlitzer Zeitungen angekündigt; das war seit Jahrzehnten so, auch Ende 1913, 1914 und blieb bis 1917 so, nur verjüngte sich im Krieg das Eintrittsalter auf das vollendete 17. Lebensjahr, durch die hohen Kriegsverluste wurde jede gesunde menschliche Reserve benötigt.
Vom 1. bis 15. Dezember 1913 mussten sich alle jungen Männer des Aushebungsbezirks Stadt-Görlitz aus dem Jahrgang 1894 im Polizeibüro Zimmer Nr. 10 auf dem Rathaus in Görlitz melden, um sich in die Stammrolle für den Militärdienst eintragen zu lassen. Wer der Aufforderung nach Paragraf 25 der Wehrordnung nicht folgte, dem wurden wegen Verletzung der Wehrpflicht eine Geldstrafe bis zu 30 Mark oder als Ersatz 3 Tage Haft angedroht. Dadurch wurde von staatlicher Seite ein gewisser Druck auf die jungen Männer ausgeübt, damit sie ihrer Militärpflicht an Vaterland und Kaiser nachkamen.
Doch war der moralische Druck zu dieser Zeit kaum notwendig, denn Schlagworte wie Pflichtbewusstsein und Ehre gehörten zur Erziehung in der Wilhelminischen Zeit.
Die „Jung-Männer“, wie sie genannt wurden, stiegen auf in die Kategorie der registrierten Militärpflichtigen in den Gemeinden. Dieses zivile „Rekrutengeschäft“, denn hier arbeiteten Staat und Kommunen mit dem Militär eng zusammen, das war in jeder Hinsicht nützlich, denn in kurzer Zeit wusste die deutsche Heeresleitung zumindest auf dem Papier, mit welchen militärischen Reserven sie pro Jahrgang pauschal rechnen konnte. Beispielsweise schrieben sich 1913 im gesamten Kaiserreich 587888 junge Leute des Jahrganges 1893 in die Stammrollen ein.
Die jungen Männer, meist aus den Handwerksbetrieben zum Beispiel, waren in der Zeit vor dem Krieg oft in den Turnvereinen organisiert und sie sahen der Einschreibung in die Stammrolle gelassen entgegen. Bis zum Weltkrieg waren die Pfade der Rekrutierung verschlungen und langwierig, es gab viele militär-bürokratische Formalitäten einzuhalten. So erfolgte nach der fristgerechten Einschreibung in die Stammrolle im März die persönliche Musterung auf physische und psychische Eignung hin, auf Gewicht, Körpergröße, Brustumfang, Sehschärfe und körperliche Fehler. Zur Musterung wurden vorher die jungen Männer angemahnt, mit „rein gewaschenem Körper und sauberer Kleidung“ zu erscheinen.
Und nach der Musterung entschied in Friedenszeiten eine Losnummer über den Zeitpunkt des aktiven Militärdienstantritts. Denn die Anzahl der gemusterten Militärdiensttauglichen überstieg bei Weitem die Zahl derjenigen, die tatsächlich ausgehoben wurden.
Jährlich zog das Kaiserreich etwa 280000 neue Rekruten ein, über 60000 mehr hätte es mitunter sein können. Und so entschied über den Tag der Einberufung zunächst das Los und damit regierte für den Einzelnen oft der Zufall. Eine hohe Loszahl, die man am Ende der Musterung auf dem Losungsschein mit nach Hause nahm, schob den Militärantritt in weite Ferne.
Wen das Los aber sofort traf, für den begann im Oktober des Jahres der 2-3-jährige aktive Wehrdienst im Militärbezirk als Kasernenrekrut. Und die Verabschiedungen zur Armee im Herbst erfolgten feierlich durch die Vereine und in der ganzen Stadt. Wie gesagt, die Einberufung war eine Ehre und Pflicht und dem wurde durch die Gemeinde ein öffentlicher feierlicher Ausdruck verliehen. Die Turnerschaften in Görlitz verabschiedeten ihre Jungs entsprechend würdig und veranstaltete für die zukünftigen Rekruten einen geselligen Abend, wo ältere Redner von Stolz und Ehre der Jugend und von der Pflicht an Vaterland und Kaiser sprachen.
In der Tat begann zu Friedenszeiten für die Männer immer im Oktober ein neuer Lebensabschnitt, kaum einer von den Jungen wusste wohl um die realen Veränderungen und Anforderungen, so verbrachten sie die Zeit bis zum Auszug, so wie junge Leute es zu tun pflegten, sehr ausgelassen und zügellos. Die alljährlichen Herbstfeste gaben beste Gelegenheit den bevorstehenden Abschied lang und in die Nacht hinauszuzögern. Nicht nur dies, gelegentlich zogen die jungen Rekruten in Gruppen von Haus zu Haus und zogen den gutmütigen Leuten Essen und Geld aus der Tasche. Natürlich wurden aus der Bürgerschaft darüber Klagen geführt, doch war es Jahr für Jahr dasselbe ungezügelte jugendliche Spektakel, jedenfalls bis Oktober 1913. Mit Kriegsbeginn, August 1914, wurde so ein wildes Benehmen nicht mehr geduldet, sondern von der Polizei verboten. Dem „Umherflirten von jugendlichen Personen beiderlei Geschlechts“ nach 21 Uhr auf den Straßen wurde ein Ende bereitet.
Mit dem Januar 1914 und nicht erst mit dem 1. August 1914, erhöhte sich der Arbeitsaufwand für die „Königliche Ersatzkommission“ enorm. Die militärischen Regularien für die Rekrutierung veränderten, verschärften sich. Bei der Militärmusterung wechselte die medizinische Tauglichkeitsbewertung von bisher einer Stufe auf zwei. Stufe I bedeutete tauglich, sofort rekrutierungsfähig und Stufe 2 ebenfalls tauglich, aber erst in Aussicht, zeitweise Zurückstellung und Nachmusterung.5
Apropos Nachmusterungen, das Militär brauchte jeden Soldaten. Schon im Mai 1914 sprach man im Kaiserreich von einer Aufstockung der auszubildenden Soldatenzahl auf das Mehrfache. Von Januar bis Juni 1914 beorderte die „Königliche Ersatzkommission“ des Aushebungsbezirks vom Stadtkreis Görlitz viele Wehrpflichtige zur erneuten Musterung, die von 1912 an, aus gesundheitlichen Gründen zurückgestellt, ausgemustert oder aus dem aktiven Wehrdienst aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig entlassenen worden waren. Die meisten Kandidaten erhielten nach erneuter medizinischer Begutachtung nun die Truppendiensttauglichkeit zu gesprochen, wenige schrieben die Militärärzte bedingt tauglich.
Das Losungssystem verlor durch den Krieg seine Bedeutung und wurde schließlich durch den hohen Bedarf an Soldaten eingestellt.
Im Krieg erfolgte die Einberufung der jungen Rekruten und der älteren Landwehrmänner in die Garnisonen Woche für Woche, wie eben die erweiterten bzw. neu gebauten Garnisonsgebäude im Kaiserreich bezogen werden konnten oder wie die alten Kasernen von den an die Fronten ausgezogenen Einheiten leer gezogen waren.
Gegen einen Kriegseinsatz gab es nur noch wenige akzeptierbare gesundheitliche Gründe. Die Militärärzte waren angehalten strenge Maßstäbe für gesundheitliche Entlassungsgründe aus der Wehrdienstpflicht anzulegen:
„Dass sich häufig Mannschaften unter Angabe schwer zu kontrollierender Erkrankungen, wie Rheumatismus, Herzleiden und so weiter dem Dienst an der Front entziehen. Die Truppenärzte müssen in dieser Beziehung unbedingt einen strengen Maßstab anlegen. Besonders eindringlicher Hinweise wird es bedürfen bei den Reserve-, Landwehr- und Landsturmtruppenteilen, bei denen Militärärzte des Beurlaubtenstandes, die zum Teil zu weniger militärische Auffassung neigen, den Sanitätsdienst versehen. Gezeichnet von Falkenhain, Großes Hauptquartier den 11. August 1915.
Für nicht „kampffähige“ Männer führte das Kriegsministerium die Einstufungen gv (garnisonsverwendungsfähig) und av (arbeitsverwendungsfähig) ein. Sie waren nur vom direkten Gefechtsdienst befreit, konnten aber als Burschen, Ordonanzen, Schreiber, Köche, Handwerker, Trainpersonal, Wachmannschaften usw. ebenso in vorderster Linie eingesetzt werden.
Im Weltkrieg 1914-18 wurden dann so viele deutsche Männer für den Dienst im Heer rekrutiert wie nie zuvor. Für Deutschland kämpften 13,3 Millionen Männer. Dazu waren im letzten Kriegsjahr 1918 rund 2,5 Millionen deutsche wehrpflichtige Männer in der heimatlichen Kriegsindustrie tätig. Insgesamt wird die Zahl der Soldaten aus allen beteiligten Ländern im „Großen Krieg“ auf etwa 70 Millionen geschätzt.
Den Hinterbliebenen von deutschen Gefallenen standen „Gnadenlöhnung“, Weiterzahlung von einer Monats-Löhnung, Kriegerwitwengeld bzw. Waisengeld oder Kriegseltengeld zu.
Wehrbeitrag Wehrbeitrag
Mit dem Reichswehrgesetz von 1913 verabschiedete der Reichstag zugleich mit der Einführung eines einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrags auf Vermögen und höhere Einkommen, eine zusätzliche Finanzierungsgrundlage zur Heeresvermehrung. Frankreich hatte die Verlängerung der aktiven Militärdienstzeit von einem auf drei Jahre erwirkt und das deutsche Kaiserreich finanzierte die größte Heeresvermehrung seit Bestand des Reiches.
Die Gesetzesfindung im Reichstag brauchte drei Entwürfe und anfangs schien es, als wenn die meisten Deutschen mit einer neuen Steuer zur Kasse gebeten werden, sozusagen für eine „Kriegskontribution im Frieden“.
An der sozialdemokratischen Parteibasis kam zu Protestaktionen gegen die geplante Aufrüstung.
Doch überhörten der Parteivorstand in Berlin und die Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten die Signale von unten, die SPD war seitdem Wahlerfolg 1912 von der „Industriearbeiterpartei“ zu einer „Volkspartei“ fortgeschritten, bereit zu Kompromissen und in sozialen Fragen zur Kooperation mit dem Staat. Als nach kontroversen Diskussionen und auf Drängen der SPD im Reichstag in Berlin schließlich eine (beinahe) Reichensteuer vereinbart war, glätteten sich die Wogen der allgemeinen Empörung wieder. Erstmals in der deutschen Geschichte wurden auch die „hochadeligen Herrschaften“, der deutsche Kaiser, die Könige (von Bayern, Sachsen und Württemberg), die Großherzöge (von Baden und in beiden Mecklenburg) zu einer direkten Steuerzahlung verpflichtet. Aus damaliger Sicht schien der erreichte Kompromiss die SPD an der Basis und die „kleinen Leute“ friedlich zu stimmen, die Arbeiter mussten nicht die Zeche bezahlen:
„Obgleich die Militärvorlage alles übertraf, was bisher da gewesen war, und trotz aller Kämpfe der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstages, wurde sie doch von der bürgerlichen Mehrheit des Reichstages angenommen. Von einer weiteren Protestkundgebung sahen wir ab, da sich im Volke eine Gleichgültigkeit bemerkbar machte, nachdem bekannt geworden war, dass die Lasten der Militärvorlage durch eine Besitzsteuer getragen werden sollten.“2
Gut gestellte Steuerzahler, größere Unternehmen und Aktiengesellschaften wurden aufgrund dieser anhaltenden Verhandlungen im Reichstag zur Kasse gebeten, wodurch die Sozialdemokraten ihre Zustimmung zur Gesetzesvorlage im Reichstag gaben, wenn auch mit geteilter Meinung. Schon im Vorfeld kam vom Reichstagsabgeordneten Dr. E. Bernstein der Einwurf, dass damit das Geld aus dem Wirtschaftsleben selbst herausgezogen wird, und letztendlich durch die entstehende Arbeitslosigkeit die Arbeiterschaft belasten werden kann, „aber weil und solange keine Aussicht vorhanden ist, im Reichstag eine Mehrheit für eine vernünftige Steuerpolitik zu erzielen, müssen wir darauf bestehen, dass wenigstens in dieser Form der privilegierte Besitz zu der Kriegskontribution herangezogen wird“.
Unmengen an Geld verschlang die geplante Aufstockung der deutschen Armee und Marine mit 4000 Offizieren, 14850 Unteroffizieren, 117000 Soldaten und 27600 Pferden; mit neuen Formationen, Kriegsschulen, Kasernen, Ausbau der Ost-Festungen in Graudenz und Posen, Truppenübungsplätzen, mit modernen Waffen, Bekleidung, mit Schiffen, Luftschiffen, Flugzeugen und Pferden.3 Den prozentual höchsten Aufschwung nahm die Verkehrstruppe (Eisenbahner, Telegraphisten, Kraftfahrer, Luftschiffer, Flieger), die von 18 auf 31 Bataillone anwuchs, was der wissenschaftlichen Entwicklung der modernen Technik entsprach. 268 Großbauten für Unterkünfte von Mannschaften und Pferden sollten in Angriff genommen und bis 1915 zum Großteil abgeschlossen werden. Innerhalb von ein bis zwei Jahren entstanden darauf neue Garnisonen z. B. in München, in Villingen, in Trier und Koblenz, in Lahr, in Mühlhausen (Thüringen), Eilenburg in Sachsen oder Eutin in Schleswig-Holstein, andere Militäreinrichtungen wurden erweitert wie in Jena.
Die Zahl der Armee-Inspektionen wurde auf acht erhöht.
Die Heeresverwaltung veranschlagte für laufende Ausgaben in den kommenden Jahren: für 1913 54 Millionen Mark, per 1914 153 und für 1915 186 Millionen Mark und für einmalige Ausgaben 1055 Millionen Mark, insgesamt 1 Milliarde und 295 Millionen Mark. (Reichsarchiv S. 475)
Diese gewaltige Summe sollte durch den Wehrbeitrag und einer Vermögenszusatzsteuer auf die zahlungskräftige Bevölkerung, von Handel, begüterter Landwirtschaft und Industrie, abgesichert werden und den Militäretat auffüllen.
Als steuerpflichtig in gestaffelter Höhe galten Personen mit einem Jahreseinkommen ab 5000 Mark (von 5000-10000 Mark = 1 Prozent) beziehungsweise mit einem Vermögen ab 10000 Mark (ebenfalls gestaffelt). Der Höchstsatz lag bei einem steuerpflichtigen Vermögen von 5 Millionen Mark.4 Beispielsweise fielen im hinterpommerschen Kreis Dramburg unter die Wehrsteuer nur 466 Personen von einer Kreisbevölkerung von etwa 36000 Einwohnern, etwa 1,3 Prozent mussten zahlen.
Im Monat Januar 1914 (vom 2. bis 20. Januar) mussten die Einwohner von Görlitz und des Landkreises Görlitz die ihnen zugestellten Formulare, mit den Angaben zu ihrem Einkommen, Grundbesitz etc. ausfüllen und einreichen. Die ganze Aktion lief im Rahmen und zusätzlich zu den jährlichen Steuerangaben für das Finanzamt. Für die Vaterlandsverteidigung wurde ein jeder aufgerufen, wahrheitsgetreue und richtige Angaben zum Vermögen zu machen, Differenzen zu früheren Angaben an das Finanzamt, blieben ungestraft bis zu einer angemessenen Höhe unberücksichtigt. Die Görlitzer Zeitungen vermeldeten Ende Januar 1914, dass die meisten Stadt- und Landkreisbewohner die Wehrbeitragserklärungen pünktlich und ordnungsgemäß eingereicht hatten.5 Der vom Finanzamt ermittelte und festgesetzte Wehrbeitrag war dann in 3 Raten 1914/15/16 zu entrichten.
Es existierte gar ein „Generalpardon“ (§ 68), das hieß, es gab eine Straffreiheit für nun entdeckte „kleine“ Steuerhinterzieher. In Stralsund beispielsweise brachte der Generalpardon ein kleines Wunder hervor. Dass für den Wehrbeitrag angegebene Vermögen der Bürger lag um 5 Millionen Mark über dem zur allgemeinen Steuerveranlagung eingeschriebenem Vermögen. Derartige Überraschungen gab es auch in anderen Orten. Doch, wo der Steuerbetrug zu groß war, folgte Strafverfolgung durch die Gerichte. Die Höchststrafe betrug das Zwanzigfache des unterschlagenen Betrags.
Aus der durch die Finanzämter veranlagten Gesamtsumme war absehbar, dass die einkommende Wehrsteuer bis 1916 gering unter der vom Reichstag geschätzten Summe (1,2 Milliarden Mark) bleiben würde. Im September 1914 war schon die erste Rate fällig, die Görlitzer Zeitungen mahnten die Leser: „Trotz Kriegsbelastung - Zahlt den Wehrbeitrag“, doch sollen dann zur ersten Rate etwa 315 Millionen Mark im gesamten Kaiserreich eingezahlt worden sein.
Es stellt sich die Frage, wodurch konnte so ein positives Ergebnis erzielt werden, wenn es in der Wirtschaft doch kurz vor Ausbruch des Krieges kriselte?
Tatsächlich sprach man allenthalben von der Grundehrlichkeit fürs Vaterland, für die Soldaten, schließlich für die eigenen Männer und Söhne. Was kaum zu vermuten war, kam in dieser staatlichen Aktion zutage, denn manche Stadt, auch kleinere Städte, hörten erstmals von Millionären in ihrer Bürgerschaft.
Und zweitens, entstand eine ungeheure Spendenbereitschaft unter den wohlhabenden Leuten und unzählige freiwillige Spenden ergaben das große Ganze. Eine Zeile in den Formularen ließ zur Steuerpflicht noch freiwillige Beiträge für das Heer zu.
Am 14. Mai 1914 gab Kaiser Wilhelm II. einen Erlass her, in dem er seinen persönlichen Dank in den Zeitungen erschienen ließ:
„Erlass an den Reichskanzler: Aus ihrem Berichte habe ich mit großer Befriedigung entnommen, dass zahlreiche Deutsche im In- und Ausland freiwillige Beiträge zu den Kosten der Verstärkung der Wehrmacht geleistet haben. Es ist Mir ein Herzensbedürfnis allen, die durch solche Beiträge vaterländischen Opfersinn in rühmlicher Weise betätigt haben, Anerkennung und Dank auszusprechen.“6
Das waren nur einige Eckpunkte einer allgemein für den Einzelnen doch recht komplizierten Steuerermittlung, weshalb die Zeitungen der Regionen mehrmals Erläuterungen und relevante Hinweise gaben.
Andererseits hatte man durch den Wehrbeitrag erfahren, wo in Deutschland die reichsten Städte lagen und die reichen Leute wohnten. 28 deutsche Großstädte mit einer Einwohnerzahl von 8,5 Millionen Menschen brachten rund 294 Millionen Mark an Wehrbeitrag auf. Als eine reiche Stadt mit 28 Millionen Mark Wehrbeitrag und einer sehr hohen pro Kopfziffer von 92 Mark erwies sich Charlottenburg. Aus Stettin sollten 3,5 Millionen Mark an Wehrbeitrag in den Militäretat einfließen. Danzig erreichte 1,5 Millionen Mark, aber nur mit einer Summe von 9 Mark pro Einwohner.8
Tatsächlich gab es einige überaus reiche Adelsfamilien im Kaiserreich, die ein Vermögen angehäuft hatten. Die fünf höchsten besteuerten Personen im Deutschen Reich brachten zusammen die ansehnliche Summe von 22 Millionen Mark ein: Berta Krupp von Bohlen und Halbach hatte am meisten zu zahlen, nämlich 8 Millionen und 800.000 Mark. Ihr folgte Fürst Guido Henckel von Donnersmark in Schlesien mit 4.200.000 Mark, und 4.100.000 Mark fielen auf den deutschen Kaiser Wilhelm II. An vierter Stelle stand der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin mit 3.400.000 Mark und an fünfter Stelle folgte der Fürst von Thun und Taxis mit 1.500.000 Mark.
Parallel zum Wehrbeitrag organisierte das Rote Kreuz eine groß angelegte, aber auf die einzelnen Bundesstaaten dezentralisiert Geldsammlung, die von Mai bis zum Jahresende 1914 dauern sollte. Das Rote Kreuz sah sich aufgrund der Stärkung der Wehrmacht verpflichtet seinerseits zu Handeln, um bei einem Ausbruch eines Krieges mit medizinischem Personal und Material gerüstet zu sein. Und das deutsche Rote Kreuz verschwieg im Sammlungsaufruf an die Bevölkerung nicht das Wort „Krieg“. Aufgefordert waren nicht mehr nur die „Reichen“, sondern jetzt auch die „kleinen Leute“; jeder Groschen zählte und leistete Hilfe für die Rettung von Soldatenleben. Durch die hohe Spendenteilnahme, auch mit kleinen Geldbeträgen, konnten die pommerschen Zweigvereine vom Roten Kreuz und die Vaterländischen Frauenvereine rund 60.000 Mark einsammeln.
„Der Zweck dieser Sammlung, die eine Folge der Wehrvorlage war, ging dahin, die finanzielle Rüstung der freiwilligen Krankenpflege zu stärken. Die Sammlung entsprach, wie sich bald zeigen sollte, einem dringenden Bedürfnis, denn im August begann die Kriegstätigkeit der Vaterländischen Frauenvereine, auf die sie sich in den langen Friedensjahren vorbereitet hatten.“9
Finanzielle Ressourcen waren aufgedeckt worden, doch schon mit Kriegsbeginn August 1914 reichten die Mittel zur Finanzierung der Kriegskosten, der sogenannte „Reichskriegsschatz“, nicht aus. Zur Deckung der laufenden Militärausgaben bewilligte der Reichstag am 4. August Kredite von bis zu fünf Milliarden Mark; nötigenfalls, konnte die Summe höher ausfallen. Als neue kurzfristige Schuldtitel des Reiches wurden neben den bekannten Schatzanweisungen „Reichsschatzwechsel“ eingeführt.
Am 19. September 1914 wurde erstmals zum Kauf von Kriegsanleihen mit hohen Zinsen von 5 Prozent aufgerufen (Zur Konsolidierung der kurzfristigen Staatsschulden des Reichs). Mit dieser ersten Kriegsanleihe war aber die Illusion des schnellen Sieges bereits gescheitert. Während für die erste Anleihe im Kaiserreich 4,5 Milliarden Mark gezeichnet wurden, erbrachte die zweite bereits neun Milliarden und die dritte schließlich 12,1 Milliarden Mark. Jede Anleihe war zweifellos ein Erfolg, wurde als unkündbar bis 1924 und als die letzte angekündigt.
Auf der Görlitzer Stadtsparkasse zeichneten die Einwohner, Unternehmen und Vereine zur 5. Anleihe im Frühjahr 1916 440800 Mark. Um die Bevölkerung für die Finanzierung des Krieges zu begeistern, wurde zur jeden Auflage ein „Ausschuss für Kriegsanleihe“ gebildet, der die Agitation betrieb und später jeweils ein „Nationaltag“ ausgerufen.
Bis September 1918 finanzierte das deutsche Volk in patriotischer Pflichterfüllung im Halbjahresrhythmus 9 Ausgaben, die zusammen rund 98 Milliarden Mark erbrachten und etwa 60 Prozent der Kriegskosten ausglichen. Viele Deutsche glaubten noch bis zuletzt an einen Sieg. Sie kämpften und arbeiteten daher auch, um ihre Geldanleihen und ihre Ersparnisse zu verteidigen.
Mit der Inflation von 1923 entledigte sich das Deutsche Reich seiner Zahlungsverpflichtungen und Millionen Deutsche verloren ihre gesamten Ersparnisse.
Angst ums liebe Geld
Der Kriegsausbruch schürte soziale Ängste und Unsicherheiten bei den Leuten, das betraf alle Lebensbereiche, wie die Frage nach dem Arbeitsplatz, wie lange gibt es ausreichend Butter und Mehl zu kaufen, was wird mit den Kindern, wenn die Lehrer in den Krieg ziehen und ganz wichtig: was wird mit dem Ersparten?
Ab der letzten Juli-Woche 1914 schien der Krieg in der deutschen Finanzwelt unabwendbar. Die Börsen des In- und Auslandes wurden mit Verkaufsaufträgen überschüttet, die Geldinstitute mit Kreditanträgen und Wechseleinlösungen bestürmt und viele Kunden forderten von den Banken und Sparkassen ihre Guthaben und Einlagen zurück.
Viele Kontoinhaber auf der Görlitzer Stadtsparkasse, der Kreissparkasse, vom Spar- und Bauverein oder bei der Görlitzer Bank trauten der Sicherheit ihrer Finanzeinlagen nicht mehr und wollten größere Abhebungen tätigen. Nach den kommunalen Sparkassenstatuten beispielsweise war aber die Höchstsumme für Abhebungen pro Tag auf 5 Prozent des Sparguthabens begrenzt. Deshalb führte der „Bank Run“ auch nicht zum sofortigen Ruin der Geldinstitute. Insbesondere bei den Sparkassen befanden sich die Geldeinlagen außer Gefahr. Sie waren als Kommunalkassen gegründet worden und mit Beginn ihres Bestehens bürgten die Immobilien der Kommunen, die Häuser, Grundstücke und der Landbesitz, für die eingelegten Spargelder. Zudem verfügten sie genügend liquide Mittel.
Massenhafte Geldabhebungen waren in jenen Jahren allerdings nicht neu. Das war in der Reichshauptstadt Berlin so, wo schon am 27. Juli 1914 circa 7000 Sparer insgesamt 935000 Mark abhoben und das setzte sich in Vorpommern fort. Aus der Zeitung erfuhren die Leser, das mit dem Tag der Mobilmachung zwei erfolgreiche Bankiers bekannter deutscher Geldinstitute, in Weimar und Potsdam, durch Selbstmord aus dem Leben schieden, was die Spekulationen um das Geld nur noch anheizte.
Mit Kriegsbeginn schmälerten insbesondere Kleinsparer ihr Guthaben, die Industriearbeiter, Dienstboten oder Landarbeiter. Die meisten in den Krieg ziehenden Soldaten dachten tatsächlich, der Krieg würde nur eine überschaubare Zeit andauern und sie glaubten bald wieder aus dem Schlachtfeld heimzukehren. Nicht wenige Soldaten glaubten gar, Weihnachten werde man wieder Daheim sein. Mit dem Gestellungsbefehl zum Bezirkskommando in der Hand, suchten viele Männer und Väter noch schnell die Sparkasse auf, um für ihre Abwesenheit bares Geld für Frau und Kinder zusätzlich abzuheben, es sollte helfen die kommenden schweren Zeiten zu überstehen.
Görlitzs Bürgermeister fand auf der ersten Kriegssitzung des Bürgerschaftlichen Kollegiums markige Worte dagegen:
„Kleinliche Engherzigkeit und Egoismus sind dem deutschen Volke fremd. Deutscher Tradition zuwider und unwürdig handelt daher derjenige, der in den Stunden, in denen sich das Vaterland in Gefahr befindet, sein Geld den öffentlichen Kassen entzieht.“
Dennoch wurden bei der Stadtsparkasse Görlitz im August 1914 2748 Auszahlungen getätigt, gegenüber 1699 im August 1913. Interessanterweise differierte aber die Gesamtauszahlungssumme (August 1913 = 491210 Mark, August 1914 = 498729 Mark) nicht wesentlich.1
Auf der Kreissparkasse hoben die Sparer in der ersten Augustwoche rund 76000 Mark mehr ab, als sie einzahlten.2
Bei den meisten Leuten reichten die mühsam zusammen getragenen Ersparnisse so wie so nicht auf lange Zeit, waren absehbar bald aufgebraucht, nur vorläufig sollte es reichen! Wieder ein Irrtum, der Krieg sollte viel länger andauern und von Beginn an musste die gesetzliche staatliche Familienunterstützung für die zurückgelassenen Soldatenfamilien sorgen und die Kommunen halfen, mit finanziellen Zuschüssen die größte Not zu lindern.
Um dem allgemeinen Misstrauen zu den deutschen Finanzen entgegen zu wirken, veröffentlichten die Zeitungen mahnende Artikel und die Redakteure hörten im Auftrag der Geldinstitute nicht auf zu betonen, dass das Geld auf den heimischen Geldinstituten absolut sicher sei: Die Abhebung von Spar- und Bankeinlagen sei verkehrt. Das Geld wäre bei den Banken sicher aufgehoben und als Privateigentum jedem Zugriff des eigenen Staates sowie des Feindes entzogen. Papiergeld wäre auch in Kriegszeiten dem gemünzten Gelde als völlig gleich zu achten.
Bald zeigten die öffentlichen Argumente Erfolg und die Leute zahlten ihre Gelder auf die Sparbücher, Kontokorrentkonten wieder ein oder deponierten es in Schließfächern auf ihrem Geldinstitut. Ergo boten ja die Sparkassen auf Sparguthaben im Durchschnitt 3,5 Prozent Zinsen.
Desgleichen traute man aus Angst vor der Inflation dem Papiergeld 4 nicht mehr: den Reichsbanknoten und neu eingeführten Darlehenskassen- und Reichskassenscheinen5. Jeder wollte auf den Geldinstituten Scheine gegen Münzen eintauschen. Das damalige Hartgeld, die Münzen zu 2, 3 und 5 Mark, enthielten einen Edelmetallgehalt an Silber oder Gold, und konnten alle Zeiten und Währungen überdauern. Allgemein stand der Nennwert von einer Mark für einen Feingehalt von fünf Gramm Silber. Eine fünf Mark Silbermünze enthielt also 25 g Silber. Mit Münzen wusste man, was im Sparstrumpf lag. Schließlich wies die Regierung in Berlin die Reichsbank- und Postbeamten an, den Umtausch in Hartgeld einzustellen.
Dennoch nahmen sich auch in Görlitz einzelne Kaufleute heraus, Papiergeld abzuweisen und vom Kunden nur Hartgeld zu akzeptieren und noch dazu trieben sie die Warenpreise unzulässig hoch. So blühte erstmals der Kriegswucher auf.
Der stellvertretende Generalkommandeur des drohte gar, alle Geschäfte, Wirtschaften, Hotels usw. unverzüglich polizeilich schließen lassen, in denen Reichskassenscheine und Reichsbanknoten nicht zum vollen Wert in Zahlung genommen oder wo für notwendige Nahrungsmittel unverhältnismäßige Preise gefordert werden. Binnen Kurzem sollte die Festsetzung von Höchstpreisen erfolgen.
Handwerk und der Handel hatten schon in der ersten Kriegswoche die Zahlungen auf Rechnung verweigert und verlangten für ihre Leistungen und den Verkauf von Waren konsequent eine Barzahlung. Wie die Kohlenhändler der Stadt annoncierten, konnten die Käufer den „kläglichen“ Rest an Briketts und Steinkohlen nur noch gegen Bares erwerben. Ja, die Unsicherheit um das Geld war eben groß.
Auf dem Görlitzer Wochenmarkt schritt die Polizei gegen den unerhörten Preiswucher ein, beispielsweise gegen auswärtige Kartoffelhändler, „die ganz unverhältnismäßig hohe Preise verlangten. Doch blieb die Kartoffelversorgung weiterhin problematisch, bis die Stadtverwaltung dann im Herbst 1914 eine wirtschaftliche Lösung fand.
In einem anderen Fall verkaufte ein Bäcker sein Brot zu 50 Pfennig, das aber nur 3 Pfund anstatt der geforderten 4 Pfund zur Waage brachte. Polizei und Bevölkerung nahmen es nicht hin und so vertrieb man das zu leichte Brot wieder vom Markt. Solche „unpatriotischen“ Vorfälle traten aber immer wieder auf.
Der Herbst verging und der erste Kriegswinter stand vor der Tür. Die zu Beginn des Krieges eingetretene Verkehrsstockung während der Mobilmachung, führte sofort zum Anstieg der Kohlenpreise. Um die ärmere Bevölkerung zu unterstützen, kaufte die Stadt Görlitz Baunkohlen an und gab sie zu billigen Preisen ab.
Am meisten wurden die städtischen Fabriken und Görlitz selbst (Gaswerk) durch den kriegsbedingten Wegfall der Steinkohlen- und Koksimporte aus England und aus Schlesien geschädigt. England lieferte keine Kohlen mehr und die Zufuhr schlesischer Kohle stockte zumindest anfangs durch mangelnde Bahntransportmittel und durch die Einberufung von etwa 50.000 deutschen Bergarbeitern. Während die Stadt vor dem Krieg für einen Zentner englische Kohlen rund 0,97 Mark aufzuwenden brauchte, kostete nun der Zentner schlesischen Kohle 1,15 Mark und ein Zentner westfälischer Kohle 1,25 Mark. Mit Rücksicht auf die Verteuerung der Kohlen musste der Gaspreis um drei Pfennig erhöht werden. Nachdem die Eisenbahn wieder Kohlentransporte fuhr und auch die Zufuhr schlesischer Kohlen möglich wurde, gingen die Preise etwas wieder zurück.
Jugendwehr-Görlitz
Jugendwehr
Und auch der Titel eines 1914 produzierten Kurzfilms „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“ mit dem Zwischentitel „Übungen einer Berliner Knaben-Exerzier-Schule“ hätte in den Jahren 1914-18 genauso in Görlitz oder anderwärts gedreht sein können. In dem Film wurde dokumentarisch festgehalten, wie die ganz junge Generation auf den Krieg vorbereitet wurde. Für die Berliner Jungen, für den adligen Offiziersnachwuchs, waren es vorerst militärische Übungen in der Gruppe. Später wurde es bittere Überlebensstrategie.
Mit dem Ausrücken der Männer in den Krieg veränderte sich auch die Erziehung der heranwachsenden Kinder und Jugendlichen. In den Soldatenfamilien fiel nun die väterliche Erziehung mit der traditionellen Autorität und dem männlichen Vorbild weg.
In Görlitz handelte es sich um die Stadtjugend; um die Söhne der Arbeiter, Handwerker, der Handelsleute, von Beamten und auf dem Lande um die Bauernjungs. Die Fragen standen überall gleich und wichtig, wie wird die Jugend erzogen, nach der Schule ausgebildet und beschäftigt? Überhaupt was soll aus den jungen Leuten werden? Diese Fragen standen ebenso und regelmäßig in den Männer-Vereinen der Turner, der Feuerwehr und bei den Handwerkern zur Diskussion. Besonders in der ersten Kriegszeit blieben die zurückgebliebenen älteren Jugendlichen auf sich gestellt. Obgleich ja klar war, dass diese Jugendlichen, sobald sie das Militärpflichtalter erreichten, in den Krieg gehen sollten. Diejenigen, die bereits freiwillig in den Krieg ziehen konnten, folgten mit großen Idealen ihren Vorgängern. Nur die Jüngeren blieben, sie suchten sich tagtäglich nach der Schule und sonstigen Pflichtarbeiten ihren eigenen Zeitvertreib und das schickte sich nicht in den Augen der Erwachsenen.
„Jetzt gibt es wahrhaftig Wichtigeres zu tun: Fahnenhissen, Kriegsbrot einkaufen, dem Vater Stiefeln in die Kaserne zu tragen, der Mutter in der Wartung des Jüngsten helfen, auf dem Exerzierplatz zuzuschauen, neue Kriegsdepeschen und Zeitungen zu lesen, sich feldmarschmäßig auszurüsten, auf dem Spielplatz Truppen kommandieren, von Bäumen aus den Feind belauschen, die Franzosen verhauen, die Russen in den Sumpf treiben, feindliche Posten anschleichen. Da wird Karl May lebendig und alle Kriegslisten seiner Indianer.“2
Aber die Jugend blieb während des Krieges auch Jugend, sie erlebte die erste Liebe und die Jugendlichen trieben Unfug oder wollten sich vergnügen auf ihre Art und Weise. Das traf nicht das Wohlgefallen der Erwachsenen und insbesondere der Mütter, die meist mit anderen Alltagsdingen beschäftigt waren. Nicht selten fiel das laute ungebührliche Verhalten von Jungendgruppen in später Abendstunde auf. Sie trafen sich auf dem Bahnhof, auf dem Wall oder anderen Parkanlagen, standen an den Straßenecken, sie rauchten und oft folgten grobe Rempeleien, Vandalismus oder übermäßiger Alkoholgenuss.
Schon seit den 1890er Jahre hielt das Militär eine strenge Hand auf die deutsche Jugend und förderte jegliche militärische Vorbereitung. Der 1891 in Berlin gegründete Zentralausschuss zur Förderung der Volks- und Jugendspiele entwickelte erstaunliche Aktivitäten. Er kämpfte gegen die „verderblichen und staatsgefährdenden Umtriebe der Sozialdemokratie“ und begeisterte die Jugendlichen für Soldaten- und Kriegsspiele. Ende der 1890er Jahre entstanden lokale „Jugendwehren“ bzw. „Jungmannschaften“, die sich erstmals der freiwilligen vormilitärischen Ausbildung der Jugend annahmen. Auf Anregung einiger Militärs gründete sich 1911 für die Wehrerziehung der „Jungdeutschland-Bund“ als Dachverband aller Jugendverbände.
„Bei der Gründungsversammlung des Jungdeutschland-Bundes im Herrenhaus, November 1911, erklärte von der Goltz-Pascha, der Liebling der Türken: Volkskraft und Wehrkraft, die dasselbe bedeuten, sollen gestärkt und gestählt werden! Und das fängt man am besten entschieden mit der Aneignung ethischer Gewinne an: Kameradschaft, Verantwortlichkeit, Selbständigkeit, Begeisterung für Mannestugenden. Der militärische Drill kommt dann schon noch früh genug. Einzig ein etwa drohender Krieg könnte ihn plötzlich mehr in den Vordergrund drängen.“3
Ende 1913 zählte der Verband um 500.000 Jugendliche, bis Mitte 1914 stieg die Zahl auf 750.000 an. Mit dem 1. Januar 1914 erschien die Jugendzeitschrift „Jungdeutschlandpost“ des Jungdeutschlandbundes und der Deutschen Turnerschaft als Halbmonatszeitschrift. Für den hessischen Landesverband von Jungdeutschland erschien eine Sonderausgabe mit dem Titel „Ausgabe für das Großherzogtum Hessen“ und mit einer von Professor Kissinger in Darmstadt redigierten Beilage des Landesverbandes.
Die Soldatenspielerei geschah noch ohne Uniformen und militärischem Beiwerk, sonst hätte man nicht die Massen mitnehmen können, das konnten sich die Eltern von Arbeiter- und Bauernkindern nicht leisten. Regional fand der Jungdeutschlandbund Unterstützung durch die staatlichen „Kreisausschüsse für Jugendpflege“ und deren Ortsgruppen.
Fast zeitgleich mit dem Beginn der militärischen Jugendpflege griff auch der preußische Staat in die Jugendpflege ein. Nach 1905 und 1908 erfolgte 1911 ein umfangreicher Erlass, der die Förderung der Jugend finanziell subventionierte. Als „nationale Aufgabe ersten Ranges“ und als „unabweisbare Pflicht“ stellte der Staat für die Jugendarbeit einen beachtlichen Fond von 1 Million Mark zur Verfügung. Die Gelder dienten allerdings keiner direkten staatlichen Jugendpflege, vielmehr handelte es sich um einen Subventionsfond, der an genehme, „auf staatserhaltendem Boden“ stehende Verbände und Organisationen durch zu bildende und dann entscheidende Orts- und Kreisausschüsse für Jugendpflege vergeben wurden.4
Während der Jungdeutschlandbund ungeteilte Förderung fand, standen die Jugendvereine der Sozialdemokratie eingestandenermaßen dem „staatserhaltendem Boden“ fern. Die bürgerlichen Bünde, Pfadfinder, Wandervogel oder Jungsturm (in Swinemünde gegründet) schlossen sich von der staatlichen Förderung selbst aus, um ihre Selbständigkeit unter Beweis zu stellen. Im Krieg errangen dann allerdings die „Wandervogelsoldaten“ Anerkennung. 1918 gestattete der Kaiser ihnen ihr Abzeichen, ein silberner Greif auf blauem Grund bzw. eine silberne Schneegans auf grünem Grund, auf dem linken Unterärmel des Waffenrocks zu tragen.
In den Industriestädten und größeren Industriedörfern gab es noch einen anderen Jugendtrend, der sich abseits von der bürgerlichen oder kirchlichen Jugendbewegung (Jünglingsvereine) abspielte: das war die organisierte Arbeiterjugend unter der Obhut der Sozialdemokraten. Der „linke“ Flügel der SPD um Luxemburg, Liebknecht, Zetkin sah in der proletarischen Jugendbewegung die Hoffnung, die revolutionären Impulse der Arbeiterbewegung forcieren zu können und unterstützte die Unabhängigkeitsbestrebungen der Jugendbewegung.
Mehr als eine allgemeine Jugendförderung war aber der SPD oder den Gewerkschaften nicht erlaubt, da das Reichsvereinsgesetz von 1908 mit den § 17 und 18 den Jugendlichen unter 18 Jahren, und damit den Jugendvereinen, jegliche politische Tätigkeit verbot, auch die Teilnahme an politischen Veranstaltungen anderer Parteien, Organisationen untersagte.
Der Kreiswahlverein nahm inhaltlich und finanziell Einfluss auf die Arbeiterjugend durch seine Bildungs- und Jugendausschüsse in Greifswald und Wolgast. Deren Jugendleiter organisierten jugendgemäße Programme, üblich waren: Vorträge, Geselligkeit, Kunstgenuss, Theater- und Konzertbesuche, Wanderungen, Exkursionen, Führungen, Gesangsabende, Sport, Spiele, Bibliothek.5
Über die Zahl und Stärke der organisierten Arbeiterjugend in Görlitz gibt der Abonnenten-Stand, der aus Berlin bezogenen Zeitschrift „Arbeiter-Jugend“, einige Auskunft. Per März 1915 lasen 200, mit Stichtag März 1916 65 und Juni 1916 zählte Görlitz 72 Zeitschriftenbezieher.
Im gesamten Kaiserreich gab es zu Beginn 1914 108007 Abonnenten und bis Juni 1916 halbierte sich die Leserzahl.6 Bis Kriegsende fiel die Zahl auf 28000 Leser zurück. Die Zahl der Jugendausschüsse verringerte sich von 850 per 1914 auf 200 Ende 1918.
Vor dem Krieg wurde der Arbeiterjugend Friedensliebe und Solidarität nahe gebracht und die Sozialdemokraten traten auch in der ersten Kriegszeit einer Militarisierung der Jugend entgegen.
Am 25. Oktober 1914 beschloss eine zentrale Konferenz der Bezirksleitungen der „Jugend-Ausschüsse“ sich nicht an der Unterstützung militärischer Jugendkompanien zu beteiligen. Schon Anfang September hatten sich der SPD-Parteivorstand und die „Zentralstelle für die arbeitende Jugend“ gegen die kriegerische Erziehung ausgesprochen. Damit blieb die Partei zunächst ihrem Grundsatz, eine Militarisierung der Jugend zu verhindern, treu.
Aber im Verlauf des Krieges schwenkte viele Sozialdemokraten auch in der Jugendfrage um und mahnte den Nachwuchs an, sich in den Jugendwehren auf die Vaterlandsverteidigung vorzubereiten und sich „Wehrhaft“ gegen die Feinde zu machen.
Mit der Spaltung der Arbeiterbewegung während des Krieges, stellten sich nicht wenige junge Arbeiter hinter den Linken. Als „Freie sozialistische Jugend“ sonderte sich Ostern 1916 eine Gruppe von der Berliner „Zentralstelle“ ab und kämpfte für Umsturz und Kriegsabbruch. Pfingsten 1916 sollte ein Jugendtag in Weimar stattfinden und alle stellvertretenden Generalkommandos verboten den Jugendlichen die Teilnahme.
Am 23. Juni 1914 warb der Vorsitzende des Bundes „Jungdeutschland“ in Greifswald, auf einer bis auf den letzten Platz besuchten Veranstaltung, um die einheimische Stadt- und Landjugend hier. Er richtete auch einen Appell an die akademische Jugend, „durch Hervorhebung der deutschen Ideale als Führer des junge Deutschlands dem Vaterland zu dienen.“7
„Wenn Jungdeutschland zu den Fahnen gerufen wird, befiehlt unser Gesetz zu sein: unerschrocken und tapfer, weil sein Herz es nicht anders sein kann. Es bekämpfe jede Anwandlung von Furcht und Grauen oder Schwäche als seiner nicht würdig. Es trage Ungemach und Beschwerde mit Gleichmut; es bewahre Ruhe in der Gefahr, es achte die Ehre höher als das Leben.“8
Die Neuordnung zur Bildung von Jugendwehren mit männlichen Jugendlichen ab dem 16. Lebensjahr, erfolgte am 16. August durch einen gemeinsamen Erlass der „Herren Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten (von Trott zu Solz), und des Krieges (von Falkenhayn) und sowie des Innern (von Loebell). Wegen hoher Auslastung der stellvertretenden Generalkommandos mit Kriegsaufgaben wurde die Übernahme der Verantwortung in die Hände der Regierungspräsidenten empfohlen.
Ende September 1914 bildete sich in Görlitz ein Ausschuss zur militärischen Vorbereitung der Jugend. Nach „heroischen“ Reden in der Gründungsversammlung traten etwa 200 Jünglinge der neuen Jugendkompanie bei. Übungszeit: Sonntagnachmittag, Ort: Exerzierplatz.9
In jeder Woche sollten mindestens 2 militärische Übungen stattfinden, davon eine am Sonntag. Für die Übung an einem Wochentag sollten die Lehrmeister ihren Jungen am Übungstag ab 16 Uhr freigeben. Anfangs blieb der Erfolg noch mäßig, doch eine öffentliche Kritik in der Zeitung wegen mangelnder Beteiligung der Jungen an die Adresse der Eltern oder Ermahnungen an die Lehrherren, den Jungen für die Übungen freie Zeit zu bewilligen, verfehlte nicht ihre Wirkungen.
Auch verlockende Versprechungen taten ihr übriges: „Die Jugendwehr will dem jungen Mann dazu verhelfen, dass er schnell ausgebildet werde. Was er hier lernt, braucht er bei der Truppe nicht erst zu lernen. Er wird bei der Truppe, zu der er mit einem von der Jugendwehr ausgestellten Zeugnis kommt, ganz anders bewertet als der Rekrut.“ Mitglieder der Jugendwehr konnten sich später ihre Truppengattung, bei entsprechender Eignung, aussuchen.
Abgesehen vom moralischen Druck auf die Jugend „für die deutsche Vaterlandsverteidigung“ aus dem Elternhaus, durch die Schule oder vom Lehrherrn, galt für den Eintritt in die Jugendwehren das Prinzip der Freiwilligkeit.10
Mit Stolz trugen die jungen Männer eine graue Feldmütze mit den Kokarden in den preußischen Landes- und deutschen Reichsfarben auf dem Kopf und am linken Arm eine schwarz-weiße Armbinde mit der Aufschrift „Görlitzer Jugendwehr“. Uniformiert fühlten sich viele Jungen „ihren feldgrauen Vätern auf den Kriegsschauplätzen ein Stück näher“. Man gehörte dazu, erfuhr Kameradschaft und übte für die große Zeit der Bewährung.
Mit der Zeit wurden die meisten Jugendlichen erreicht und die Jugendwehr zeigte Konstanz. In einem Bericht hieß es dann, die Jungen hätten „den Ernst der Zeit begriffen“. Görlitzer taten ein Übriges, sie spendeten Geld zur Anschaffung von Musikinstrumenten.
Einige Wochen später fehlten Ausbilder aufgrund der anhaltenden Einberufungen zum Heer und der Ausschuss suchte in der Stadt freiwillige Helfer mit militärischer Erfahrung, um die Ausbildung der Jugendwehr Aufrecht erhalten zu können.
Auf Anordnung der Regierung wurde im Februar 1915 die „militärische Vorbereitung“ in das Lehrprogramm der Realschulen und Gymnasien sowie der Fortbildungsschulen (der Berufsschulen) aufgenommen. Sowohl die Schüler als auch die Lehrlinge der gewerblichen und der kaufmännischen Fortbildungsschule in Görlitz mussten sich nun im Marschieren, Exerzieren und in Handhabung von Waffen üben: Immer sonntags von 14 bis 17 Uhr und genauso wie die Jugendwehr.
Der Krieger- und Militärverein setzte sich an die Spitze der Ausbildung auf dem Schützenplatz und half bei allen anfallenden Übungen im Hantieren mit Waffen und Schießen: Zielübungen, Scheibenschießen mit Teschings und Scharfschießen mit älteren Militärgewehren.
Trotz aller Erfolge, konnte man nicht zufrieden sein, denn man hatte ja nicht alle Jugendlichen der Stadt erreicht. Eindringliche Aufrufe und Ermahnungen in der Zeitung an die Jugendlichen erschienen immer wieder. Und die letzten „Drückeberger“ wurden vermutlich von eingeschüchterten Elternhäusern zur Wehr gebracht.
In der schweren Kriegszeit stieß das alltägliche Jugendfreizeitverhalten auf Unverständnis und zog Missbilligung nach sich. Jugendliche unter 18 Jahren sollten sich nach den Korpsbefehlen nicht auf Straßen und Plätzen laut unterhalten, singen oder Kartenspielen. Noch mehr „Regulierungszwang“ trat ab Sommer 1916 ein, als für Jugendliche zwischen 14 und 18 „ … das ziellose Auf- und Abgehen und der zwecklose Aufenthalt auf öffentlichen Straßen und Plätzen verboten“ wurde und „Kinder unter 14 Jahren … nach acht Uhr abends öffentliche Straßen und Plätze nur in Begleitung Erwachsener betreten ...“ durften.
Jungen und auch Mädchen unter 18 durften weder Rauchen noch Alkohol trinken und Wirtshäuser nur in Begleitung von Erwachsenen aufsuchen. Hartnäckige Zeitgenossen wetterten gar gegen den „verderblichen“ Kino-Besuch und wollten das Kino ganz abschaffen. Und Tanzveranstaltungen waren sowieso im Krieg obsolet.
Andere Zeitgeister sahen zu viel Geld in den Taschen von Jugendlichen, darauf wurden sie unter „Sparzwang“ gesetzt.
„Von einem jugendlichen Arbeiter werden heute durchschnittlich in der Woche 15 bis 20 Mark verdient. Wie festgestellt worden ist, geben diese, soweit sie im elterlichen Haus wohnen und von den Eltern bzw. der Mutter beköstigt werden, von ihrem Wochenverdienst nur 10-15 Mark ab. Der Rest wird größtenteils trotz der bereits bestehenden Verbote in Wirtschaften und Kinematographentheater mit gleichaltrigen Mädchen verbracht. Diesem Unwesen könnte vielleicht dadurch entgegengetreten werden, dass entweder der verdiente Lohn der jugendlichen Arbeiter von Seiten der Arbeitgeber nur den Eltern ausgezahlt würde, oder den jugendlichen Personen von ihrem Verdienst nur ein bestimmter Teil ausgezahlt würde und der Rest von dem Arbeitgeber bei einer Sparkasse als Spargelder für jeden Arbeiter besonders eingezahlt wird.“
Auch die evangelische Kirche, in der Jugendpflege mit langen Traditionen (1856 „Ostdeutscher Jünglingsbund“, 1848 „Rheinisch-Westfälischer Bund, 1900 Zusammenschluss beider zur „Nationalvereinigung evangelischer Jünglingsbündnisse“), nahm sich ab Mitte der Kriegszeit verstärkt der problematischen Jugend an. Das Streben der kirchlichen Behörden, die Jugendpflege auf alle evangelischen Gemeinden auszudehnen, wurde „mit dankbarer Freude begrüßt.“
Doch weder Staat, Parteien, Schule noch Kirche, noch das Kriegsministerium und die allgemeine Kriegspropaganda, schafften es, die aufwachsende Jugend in die deutsche Kriegsgesellschaft zu integrieren. Letztendlich mussten sich die Kriegsgerichte übermäßig mit den Übertretungen und Verfehlungen Jugendlicher gegen Korpsbefehle beschäftigen:
Im letzten Kriegsjahr 1918 zwang die wirtschaftliche Not, insbesondere der Arbeitskräftemangel auf dem Lande, auch die Jungmannen zu sinnvollen Arbeitstätigkeiten heranzuziehen.
„Zur Kartoffelernte, die wohl in diesem Jahr 14 Tage früher beginnt, werden auch die Jungmannen Hilfe leisten. Nach dem Stand vom 15. August wird insgesamt 771 Jungmannen im Hilfsdienst beschäftigt und zwar in Gruppen 430, als Einzelmannen 120, bei den Eltern 206 und bei Behörden und in der Industrie 15, zusammen 771.“
Geduldig exerzierte und marschierte die Görlitzer Jugendwehr treu und brav bis zum Kriegsende. Die Jungen übten sich am Schützengrabenbau und maßen hin und wieder die Manneskräfte mit den Wehren aus benachbarten Orten. Bei kriegerischen Anlässen zog die Jugendwehr mit wehenden Fahnen durch die Stadt, beklatscht und bejubelt vom Straßenpublikum. An Nachwuchs gesellten sich jährlich die herangewachsenen Jungmannen dazu und ersetzten die an die Front einberufenen jungen Männer. Im Monat März wurden immer die neuen „Rekruten“ erwartet und feierlich in die Wehr aufgenommen, diejenigen Jungen die bis April das 16. Lebensjahr erlangten, diejenigen welche als Fortbildungsschüler der Pflicht unterlagen und die Freiwilligen.
Zum Schluss, zum bitteren Ende, war es wohl nur noch eine Farce, der noch an den militärischen Sieg glaubenden Kriegsgesellschaft.
Pferde für den Krieg für den Krieg
„Der Graf lächelte und klopfte seines Lieblingspferdes Hals. ‘Es gibt Krieg, Wilhelm, und dann müssen alle unsere Pferde mit und wir auch, alter Junge. Mit Gott für König und Vaterland. Er wandte sich kurz um und ließ den entsetzten Wilhelm stehen.“1
Im 1. Weltkrieg spielte die deutsche Kavallerie mit ihren Dragonern, Musketieren, Ulanen, Jägern zu Pferden oder Kürassieren in den Kampfhandlungen, zumindest für den Bewegungskrieg, eine wichtige strategische Rolle. An die alte Tradition der berittenen Soldaten aus den vorangegangenen Kriegen, erinnerte in Görlitz, einem Standort der Infanterie, der ansässige Kavallerie-Verein.
Als Transporttier für alle Waffengattungen, und insbesondere für die leichte und schwere Artillerie sowie in der militärischen Aufklärung, blieben die Pferde während des ganzen Krieges unersetzlich. Millionen Pferde mussten im Krieg weit schwierigere Arbeiten verrichten und nicht selten unter Futtermangel, als sie es zu Hause in der Landwirtschaft gewohnt waren. Auf den langen Wegstrecken fehlten oftmals Straßen oder gut ausgefahrene Wege. Als Vorspann für äußerst schwere Lasten, mit schweren Kanonen und Munition auf dem Wagen, mussten sie querfeldein, durch Wälder und Flur, von Frontabschnitt zu Frontabschnitt ziehen.
„Da sind die Munitionskolonnen. Galoppierend brachten sie allnächtlich ihre gefährliche Ladung durch die Sperrkette des feindlichen Feuers bis vorn an die Batterien. Mancher Munitionswagen ist in die Luft geflogen - Roß und Reiter sind zerstoben.“ Köster „Verbrannte Erde S. 98
Schon Sommer 1913 bewilligte der Deutsche Reichstag zur Aufrüstung nicht nur die Erweiterung der Mannschaften und Waffen, sondern auch die Aufstockung des Tiermaterials, geplant waren zusätzlich 7 neue Kavallerieregimenter mit Soldaten, Pferden und Wagen. Für Jahr 1914 wurde eine Summe von 917.049.000 Mark für die geplante Pferdeaushebung veranschlagt. (Reichsarchiv S. 463)
In den blutigen Gefechten der ersten Kriegszeit und auf Patrouillenritten starben die Pferde zu tausenden und schwer verletzten Tieren musste der Gnadenschuss gegeben werden. In Feldpostbriefen an die Heimat hieß es nicht selten: „Mutter ich habe mein Pferd, einen treuen Kameraden, verloren, Gott sei Dank, ich bin wohl auf.“ Am Ende war der Blutzoll für die Pferde immens: Allein für die deutsche Seite ist ein Verlust von etwa einer Million Rösser geschätzt worden.
Traditionell wurden Militärpferde auf Landesgestüten gezüchtet und zusätzlich von privaten Besitzern aufgekauft, um sie in Remontedepots2, die zu den militärischen Einrichtungen gehörten, auszubilden.
Der Bestand an Remonten reichte für die Ausstattung des Militärs nicht aus, so dass die große private Tierreserve aus dem Lande herhalten musste. Seit 1900 hatte es regelmäßig militärische Pferdemusterungen bzw. Pferdevormusterungen der privaten Pferdebestände gegeben. Herangezogen wurden sämtliche Pferde-Besitzer von: landwirtschaftlichen Gütern, Bierbrauereien, Fuhr- oder Droschkenunternehmen, der Ackerbürger sowie der Bauern. Jährlich konnte damit die vorhandene Anzahl militärdiensttauglicher Tiere erfasst werden.
Ab 1913 erweiterte das Militär seine Depots zielgerichtet, gemusterte Zug- und Reitpferde wurden zugekauft und den speziellen Waffengattungen zugeteilt. Diese Aufkäufe zogen sich bis zum ersten Halbjahr 1914 hin. Für die abgegebenen Tiere erzielten die Besitzer Preise zwischen 1100 und 1300 Mark pro Tier.
Mit Kriegsbeginn trat in der ersten Mobilmachungswoche die (bezahlte) Zwangsaushebung der Pferde anstelle des bisherigen freiwilligen Verkaufs. Am 3. und 4. August 1914 wurden unter Leitung der militärischen Pferdeaushebungskommissionen die Pferde beinahe so rekrutiert wie die Soldaten. Für jedes ausgehobene Pferd bekam der Besitzer eine Bescheinigung, worauf er später den Kaufpreis in bar ausgezahlt erhielt.
Außerdem wurden Pferdewagen, Schlitten und zusätzlich einzelne Geschirre ausgehoben, die umgehend per Bahn an die Front kamen, so dass bald ein Mangel an Lastfuhrwerken in der Stadt zu spüren war.3
Die Zwangsaushebung traf manchen kleinen Besitzer, aber auch die großen Grundbesitzer im Landkreis sehr hart, eine Weigerung der Herausgabe erschien zwecklos, denn dann drohten hohe Geldstrafen. Die finanzielle Abfindung wurde andererseits gerne genommen und bei den Preisen auch verhandelt. Doch sie ersetzte beispielsweise den Fuhrunternehmen, selbst den Droschkenbesitzern in Görlitz und erst recht nicht den Bauern auf dem Lande den Verlust der tierischen Arbeitskraft. Was tun ohne Arbeitspferde, das war die große Frage und die Lösung lag auf der Hand, wie in alten Zeiten mussten meist Kühe und Ochsen die Pflug- und Gespannarbeiten auf dem Acker übernehmen. Das wurde von Kriegsjahr zu Kriegsjahr immer mühseliger und ebenso hörten die Klagen über den Verlust der Tiere nicht auf.
Bis Ende 1917 stiegen die Aufkaufpreise von 1600-1880 Mark pro Tier Ende 1914 auf 2400 bis 2600 Mark im Winter 1916. Damit die Kosten für das Militär nicht weiter in die Höhe trieben, setzte das Kriegsministerium Höchstpreise zum Pferdeerwerb für die Pferdeaufkaufkommissionen fest.
Gleichwohl waren sich Militär und Regierung der schwierigen Problemlage für die heimische Landwirtschaft bewusst, jedenfalls im weiteren Verlauf des Krieges. Denn es ging um nichts weniger als um die Sicherung der Ernährung im ganzen Land.
Erstmals stoppte das Kriegsministerium Anfang 1915 den Pferdeaufkauf aus der deutschen Landwirtschaft für einen gegrenzten Zeitraum, um die Frühjahrsbestellung zu sichern.
Oberbefehlshaber Ost. Geheim.
„Durch die Sperrung jeden Ersatzes aus der Heimat hat die Zahl der Pferdefehlstellen eine derartige Höhe angenommen, dass die Truppe erheblich darunter leidet. Der jetzige Zustand ist auf die Dauer unhaltbar. Um Abhilfe zu schaffen, muss notgedrungen auf die Pferdebestände des (russischen) Landes in außergewöhnlich hohem Maße zurückgegriffen werden. Im Bereich der Armeeabteilungen … sollen ausgehoben werden 3500 kriegsverwendungsfähige und 500 arbeitsverwendungsfähige Pferde. … Der Gesichtspunkt, die Landwirtschaft des besetzten Gebietes möglichst zu schonen, muss dauernd im Auge behalten werden.“
Mit Besetzung von Feindesland gelangten so genannte Beutepferde nach Pommern, so aus Belgien und Frankreich oder aus russischen okkupierten Gebieten sowie auch „kriegsuntaugliche“ Pferde aus dem Heer. Per Bekanntmachung in den Zeitungen wurden die Versteigerungen durch die Landwirtschaftskammer lange vorher angekündigt. Im Auftrage der Landwirtschaftskammer erfolgten durch beauftragte Pferdehändler Ankäufe im neutralen Ausland wie Dänemark und Schweden.
Nach Zusage durch das Kriegsministerium konnten für den Truppendienst noch nicht brauchbare Remonten, meist dreijährige Pferde, zur Aushilfe ausgeliehen, gegen die Verpflichtung guter Pflege und Ernährung ohne weiteres Entgelt und später ebenso aus den Garnisonen.8
Lediglich die anfallenden Transportkosten gingen auf Rechnung der Bauern und die vom Militär vorgeschriebenen Futterrationen mussten eingehalten werden: Für ein Feldartillerie-Pferd täglich 3900 g Hafer, 4000 g Heu, 1750 g gutes Futterstroh und außerdem Streustroh.
Ende 1917 musste aber das stellvertretende Generalkommando zu Stettin einräumen, dass eine Aushilfe aus den Garnisonen mit Gespannen nicht mehr möglich sei. Das Kriegsministerium selbst hatte den Pferdebestand der Ersatztruppen in den Garnisonen zu Gunsten der Front drastisch herunter reduziert.
Allein alle diese Hilfsmaßnahmen wirkten wie ein Wassertropfen auf einen heißen Stein.
Denn neben dem Pferdemangel fehlte es bald an hochwertigem Pferdefutter, die runter rationierte Zuteilung von Hafer ab Anfang 1915 ließ die Tiere abmagern und ihnen fehlte die Kraft zur regulären Arbeitsverrichtung. Durch Bundesratsbeschlüsse9 vom 21. Januar und vom 13. Februar 1915 wurden die noch vorhandenen privaten Hafervorräte zugunsten der Heerespferde beschlagnahmt. Den Pferdehaltern verblieben 3 Doppelzentner bis zur nächsten Ernte. Um die Pferde allmählich an die Verringerung des Kraftfutters zu gewöhnen, wurde für eine Übergangszeit bis zum 1. März noch ein Zuschlag von 1 Kilogramm Hafer pro Tier und Tag gewährt. Dann hatten sich die Tiere an die gesetzlich zugelassenen Rationen zu gewöhnen.
Die Reaktionen der „Unternehmer mit Pferden“ auf die Rationierung waren keineswegs nur einsichtig und schon wieder griffen die normalen Marktmechanismen. In Stralsund erhöhten die Fuhrwerksbesitzer den Fuhrlohn, weil die Pferde mit weniger Futter auch weniger Arbeit verrichten konnten.
In Görlitz traten die Pferdebesitzer in einer Versammlung zusammen, um sich für entsprechende Ersatz-Futtermittel bei den Behörden einzusetzen:
Zwei Wochen später beschlossen die Görlitzer Fuhrunternehmer die Preise zu erhöhen.
März 1917 ordnete das Kriegsministerium die Kürzung der Pferdeschweife sowohl für Dienstpferde im Heer als auch der Bauernpferde in der Heimat an, um aus dem Rosshaar Polsterungsmaterial zu gewinnen.
Die Probleme mit der unzureichenden Pferdefütterung und der geringen Arbeitskraft der Tiere rissen nie ab. März 1917 bemerkte der Magistrat, dass es schwer sei, ein Gespann für den städtischen Krankenwagen bereit zu stellen.
Über die gesamte Kriegszeit gab es auch genügend Bauern, die ihre Pferde heimlich mit „verbotenem“ Futter versorgten. Wer dabei verraten oder erwischt wurde, was nicht selten vorkam, musste sich vor dem Schöffengericht oder gar dem Kriegsgericht verantworten und wurde unweigerlich hart mit Geldbußen bestraft. Das nahmen echte Bauernherzen in Kauf, denn die Pferde litten.
Durch den Futterwechsel vom Hafer auf Ersatzstoffe (Kleie, Melasse) und durch die Erhöhung des Raufutteranteils (Gras, Heu, Stroh, Waldlaub) reagierten viele Pferde mit Verdauungserkrankungen, die zur Abnahme der Kräfte führten usw. Der Tierschutzverein schaltete sich ein und empfahl Tierärzte zu konsultieren. Das löste allerdings nicht die Futterprobleme. Doch alle beteiligten waren sich darüber einig, dass im Interesse der Tierhalter und der Pferde sowie ganz besonders der Sicherung „der Volkswirtschaft, die Erhaltung des Pferdebestandes besonders wichtig sei.“
Bis zum Kriegsende blieb das Los der Pferde schwer.
Das Los der Pferde an der Front unterschied sich mitunter nicht vom Schicksal der Tiere in der Heimat. Auch an den Fronten fehlte wiederholt das Pferdefutter:
„Ostfront 23. Januar 1915: „Stellungskrieg seit 3 Monaten, dabei sind wir Kavalleristen. Immerhin gut, dass wir nicht im Bewegungskrieg sind; unsere Böcke würden zum großen Teil in wenigen Tagen schlappmachen. Es kann einen jammern, wenn man bei uns in die Ställe kommt. Stroh zum Streuen gibt es gar nicht, die Tiere stehen und liegen im Mist, das bisschen Stroh, das geliefert wird, wird verfüttert, damit die Tiere neben den paar Pfund Hafer noch etwas über den Tag über in den Bauch kriegen. Die meisten sind dürr wie die Skelette und fressen aus Hunger ihren eigenen Mist noch mal durch! Die Hälfte der Böcke hat noch dazu die Räude, sie sehen toll aus wie die Elefanten, infolge der kahlen Hautstellen.“
Fast genau ein Jahr nach dem Krieg, im Spätherbst 1919, kehrte einiges Unheil auf die Bauern und Pferdezüchter wieder zurück. Die Siegermächte forderten vom Kriegsverlierer Deutschland neben Geld auch Naturalien, in diesem Falle Pferde und Nutzvieh.
Für das Ende des Krieges stellt sich die Frage, wo die Millionen deutsche Kriegspferde geblieben sind. Was war ihr Schicksal? In der Masse, der Tod.
Nach der Viehzählung vom 1. Juni 1917 belief sich der deutsche Pferdebestand (ohne Militärpferde) auf 3.345.626 Tiere. Zum 2. Juni 1919, nach abgeschlossener Demobilmachung auf 3.759.881 Tiere (ohne besetzte Gebiete und die Pfalz). Der Zuwachs von nur etwa 400.000 Tieren lässt nur eine Schlussfolgerung zu.
Görlitzer Helden
Helden
Zwei Heldenjünglinge
Wir sind die Garde! Gebt uns einen Posten,
Der Männer fordert, hart und fest wie Stein!
Wir woll'n der Garde altes Vorrecht kosten,
Gebt uns die Spitze, laßt uns Führer sein!
Zu reichen Schicksalsgnaden
Voran ihr Kameraden!
Der Sturmmarsch braust! Die kühnste Fahne weht!
Das ist die Garde, die zum Siege geht! —
… so heißt es im „Gardelied“ und so ist es auch in der Tat. Wo unser Garde-Korps eingesetzt wird, da „fliegen Splitter, und der Feind wird niedergekämpft“, aber reihenweise sinken die Grenadiere und Füsiliere mit ihren Führern lautlos in den Tod. Und wahrlich, es sind die besten unseres Volkes, die dort in fremder Erde ihr Heldengrab gefunden haben. Die Leichensteine, die dereinst jene Hügel fern in Feindesland schmücken werden, sie werden dem einsamen Wanderer die Namen der edelsten Geschlechter unseres Vaterlandes nennen, Namen, die mit allen Tagen des Ruhms und der Ehre, mit allen Kämpfen und Siegen unserer vaterländischen Geschichte aufs innigste verbunden sind, Namen, die insonderheit nie gefehlt haben, wo unsere tapfere Garde gekämpft und geblutet hat. Und zu jenen Helden, die auf dem Altar des Vaterlandes das hohe Opfer ihres Lebens dargebracht haben, gehören auch zwei junge Offiziere vom Königin-Elisabeth-Garde-Grenadier-Regiment Nr. 3, zwei Brüder, die Leutnants Bruno und Wilhelm v. Francois. Dieser Heldenjünglinge wollen wir heute gedenken!
Bruno Alfred Karl August v. Francois war am 21. Juli 1893 in Sonderburg auf Älsen als ältester Sohn des am 22. Juni 1911 in Görlitz verstorbenen Generalinajors z. D. Alfred v. Francois und dessen Gemahlin Elisabeth, einer geborenen v. Petery, geboren. Am 18. März 1911 aus dem Kadettenkorps als Fähnrich dem Königin-Elisabeth Garde-Grenadier-Regiment Nr. 3 überwiesen, wurde Bruno v. Francois am 22. Mai 1912 zum Leutnant befördert.
Leutnant v. Francois hatte sich in den Nachmittagsstunden des 19. Dezember 1914 in Begleitung eines Oberleutnants von der Artillerie in den Giebel des Schlosses
Sommécourt begeben, um von hier aus die Wirkung unserer Artillerie zu beobachten. Er war Adjutant des Füsilierbataillons. Er hatte einen feindlichen Unterstand entdeckt, der zusammengeschossen werden sollte. Nachdem er noch selbst das Geschütz auf den Unterstand gerichtet und drei Treffer festgestellt hatte, verließ er bei Einbruch der
Dunkelheit, weil eine Beobachtung nicht mehr möglich war, mit seinem Kameraden seinen Posten.
Unterdessen hatte die feindliche schwere Artillerie ihr Feuer auf das Schloss eröffnet. Kaum hatten sie das Schloss verlassen, als eine feindliche Granate in ihrer unmittelbaren Nähe einschlug und beide Offiziere sowie einen Pionier und einen Kanonier tötete. Dem Leutnant v. Francois hatte ein Granatsplitter die Halsader zerrissen. Seine Leiche wurde in der Kirche von Bucquoy aufgebahrt und am 22. Dezember vormittags auf dem dortigen Friedhofe bestattet. Pfarrer Pätzoldhielt eine ergreifende Ansprache. Die ganze 11. Kompanie des Regiments „Elisabeth", sowie Abteilungen der Pioniere und Artilleristen, die Vorgesetzten und Kameraden der gefallenen Helden, wohnten der ernsten Feier bei.
Leutnant v. Francois war Ritter des Eisernen Kreuzes 2. Klasse, das ihm bald nach den ersten Kämpfen des Regiments in Belgien verliehen worden war. Für hervorragende Tapferkeit in der Schlacht von La Normée war er zum Eisernen Kreuz 1. Klasse in Vorschlag gebracht worden.
Doch wie sein Großvater, der General v. Francois, der Held von Spichern, fiel er, bevor das neue Ehrenzeichen seine Brust schmückte.
Sein jüngerer Bruder Wilhelm fiel in den heißen und blutigen Kämpfen in Galizien.
Wilhelm Alfred Bruno v. Francois wurde am 28. Juni 1898, am Tage vor dem achtzigsten Geburtstage seines in der Schlacht bei Spichern, am 6. August 1870, gefallenen Großvaters, zu Saarbrücken geboren und trat am 12. August 1914 beim Königin-Elisabeth-Garde-Grenadier-Regiment Nr. 3 in Charlottenburg ein.
Am 11. September wurde er als Fähnrich dem Regiment ins Feld nachgeschickt und der 12. Kompanie zugeteilt. Für sein tapferes Verhalten im Gefecht bei Puisseux, südöstlich von Bucquoy, am 4. Oktober 1914 erhielt er das Eiserne Kreuz 2. Klasse. Am 14. Oktober wurde er durch einen Granatsplitter am Fuße verwundet und in das Kriegslazarett zu Bapaume gebracht, aber schon nach vier Wochen konnte er geheilt zu seinem Regiment zurückkehren.
Im April 1915 kam das Regiment nach Westgalizien und am 2. Mai wurde es auf schwer befestigte russische Gebirgsstellungen an der Biala zum Sturm angesetzt, wo die Österreicher bisher erfolglos gestürmt hatten.
Hier starb Wilhelm v. Francois an der Spitze der 12. Kompanie beim Sturm auf das Dorf Stoszkowka den Heldentod, in einem Brief heißt es: „Seinen Leuten vorauseilend, stürmte er in vorbildlicher Tapferkeit dem Feinde entgegen. Vor dem feindlichen Drahtnetz warf ihn ein Geschoß, seine Schulter durchbohrte, in die Knie. In dieser Lage drehte sich Leutnant v. Francois um und feuerte seine Füsiliere zum weiterem Vorgehen an, bis ihm ein zweites die Schläfe durchbohrte. Noch im Zusammenbrechen wies er mit dem Degen auf den Feind. Ein junges Menschenleben endete hier, das über den Rahmen seines Alters und seiner Stellung weit hinaus sich in dem Ernst der Zeit zu einer bemerkenswerten Persönlichkeit entwickelt hatte. Trotz seiner Jugend in seinem Willen, in seiner Persönlichkeit ein ganzer Mann, ein Vorbild all Unerschrockenheit und militärischen Tugenden."
Und einer seiner Kameraden schrieb an die Mutter des jugendlichen Helden:
„Ich hatte besonders in der Stellung von .. die Freude, ihren Sohn beobachten zu können, der so durch und durch Soldat war und trotz seiner Fugend in vielerlei Beziehung ein Vorbild sein konnte. Wie sein lieber älterer Bruder hat er sich 'st seinem leider so kurzen Leben würdig seines Vaters und seines Namens gezeigt. Der Sturmtag ist sein Ehrentag worden; als echter Francois war er der Tapferste seines Zuges, war er der Erste an der starken feindlichen Stellung, deren völlige Bezwingung er nach Gottes Willen nicht mehr erleben sollte.“
Da das Regiment nach Erstürmung der Stellung sofort dem geschlagenen Feinde folgen musste, konnte es seine gefallenen Helden nicht beerdigen. Nachfolgender Landsturm hat ihnen diese letzte Ehre erwiesen. Jedenfalls schlummert Leutnant v. Francois dort, wo er tapfer kämpfend sein junges Leben dem Vaterlande zum Opfer gebracht hat.
„Es war vorbei!“ Ein Görlitzer Arbeiter an Frau und Kinder:
An meine teuren Lieben alle! Ich bin jetzt so weit fähig, ein paar Zeilen zu schreiben. Die Hände zittern mir noch sehr, ist aber nur noch Schwäche. Mein liebes, teures Weib, Kur? will ich Dir einiges mitteilen:
Samstag, den 22. August, um 1 Uhr früh, marschierten wir von Luxemburg durch Lothringen und überschritten um 12 Uhr mittags die französische Grenze. Es war ein Eilmarsch. Ohne jegliche Speise wurden wir nachmittags ins feindliche Land geführt. Wir gingen wie Schlachttiere stumpfsinnig vorwärts. Die ersten Verwundeten kamen in Scharen an uns vorüber.
Ich war gefaßt, ich kannte keine Furcht, es ging nur vorwärts. In der ersten Viertelstunde habe ich in meiner Umgebung keine Verluste bemerkt. Jetzt stieg ich über den ersten toten Franzosen. Wir müssen jeden anstoßen, weil die Kerle sich tot stellen und uns von hinten anschießen. Bei dem war's nicht nötig, das Gehirn lief aus dem Schädel.
Jetzt ging's weiter, unsere Brüder fielen, sehr viele; ein lauter Schmerzensschrei verriet wieder einen Verwundeten oder Toten. Wir gehen nur immer vorwärts.
Die Franzosen, die Rothosen, laufen, was sie können, nur die französische Artillerie macht uns schwer zu schaffen. Hageldicht pfeifen uns die Kugeln um die Ohren. Die Infanterie schießt meist zu hoch. Wir bekommen plötzlich linkes Flankenfeuer; wir liefen immer im Straßengraben entlang, ich kümmere mich nicht mehr um die anderen, ich rufe allen nur zu: Vorwärts!
Schlagen die Schrapnells zu dicht ein, werfe ich mich auf den Bauch; eine innere Stimme schien mir zu sagen, jetzt laufe wieder vorwärts. In einem Graben komme ich neben unseren Major zu liegen. Es hagelt vor Kugeln. Ich krieche auf dem Bauche in eine kleine Mulde; einen halben Meter vor mir schlägt ein Schrapnell in die Erde, reißt ein tiefes Loch und schleudert mich in die Luft. Es war ein sogenannter Aufsetzer.
Ich verliere die Besinnung, ich werde mit Wasser begossen; ich zucke an allen Gliedern, alles noch dran. Schon ging's weiter.
Jetzt kam ich mir ganz kugelfest vor. Ich komme an einer Kornpuppe vorbei; ein Kamerad ruft mir im Vorbeigehen zu: „Hilf mir!" ich knie vor ihm hin, mache ihm einen Notverband; die ganze Hand zerschossen, aber der gefährlichste Schuß saß im Munde. Ich gab ihm einen Schluck Wein, der mir nie fehlte. Der Unglückliche strich mir dankend mit der blutigen Hand übers Gesicht und sagte: „Danke, Kamerad!" Es nützte alles nichts mehr. Es war vorbei.
Ich mußte weiter. Wir nehmen das erste Dorf mit dem Bajonett im Sturm. Die Rothosen laufen, was sie können. Wir sind durch das Dorf. Ein Schuß fällt aus einem Hause. Das war das Zeichen, um das ganze Dorf anzubrennen. Das dauert nicht lange; es wird immer ein Zensier eingeworfen, eine Kornpuppe angezündet und reingeworfen und etwas Holz nach; da kann man gleich darauf warten, in dieser Weise haben wir noch vier Dörfer angesengt.
Es wird Abend, überall ein Flammenmeer. Wir sammeln uns; ich suche meine Kompagnie, finde aber nur wenige, es ist alles durcheinander. Vor Müdigkeit legen wir uns platt auf die Erde, um uns rum das Schreien und Wimmern der Verwundeten und Sterbenden. Es ist finstere Nacht, wir können nicht helfen. Die Krankenträgerkolonnen wollen das Schlachtfeld absuchen, werden aber durch Franktireurs mit Schüssen vertrieben: so mußte alles liegen bleiben, bis der Sonntagmorgen graute.
Sonntag war Ruhe. Wir suchen das Feld ab, tragen Tote und Verwundete weg, machen große lange Löcher. Fünfundzwanzig Tote ungefähr, mit voller Kleidung, Deutsche und Franzosen durcheinander; jetzt sind wir alle nur Menschen und Kameraden.
Montag morgens konnte ich nicht mit fort; ich fahre auf der Feldküche, um mich etwas zu erholen, aber es wurde mein Verhängnis. Durch einen tiefen Graben ging's im Galopp, alles flog in die Luft.
Ich falle auf's Kreuz und bleibe besinnungslos liegen. Durch heftiges Schrapnellfeuer erwache ich. Um mich her reißen die Geschosse große Löcher. Endlich ist Ruhe um mich. Ich krieche auf allen Vieren drei Stunden lang; ich habe Glück, werde in ein Feldlazarett aufgenommen. Seid unbesorgt um mich, ich schlage mich durch. Grüße alle von mir, ich lebe langsam wieder auf.
Musketier Anders.
Während des Sturmes war die Kompanie zu weit nach links gekommen. Der Musketier Anders aus Görlitz, Entfernungsspäher beim Kompanie-Führer, erhielt nun den Auftrag, die Verbindung mit der 9. Kompanie aufzunehmen. Als er aus einem hohen Weizenfelde heraustrat, sah er einen stark besetzten russischen Schützengraben, welchen er aus der Flanke befeuern konnte. Er verschoß ungefähr 50 Patronen. Von der Kompanie wurden ihm nun vier Mann nachgeschickt. Bald waren die fünf sich einig, daß sie den feindlichen Graben nehmen wollten.
Mit kräftigem Hurra gingen der Musketier Anders und seine Leute auf die Flanke der Russen los. Die Russen waren durch diesen unerwarteten Angriff so überrascht, daß sie sofort die Gewehre wegwarfen. Es ergaben sich dem Musketier Anders 74 Russen.
